Maya's text's

Ich geh zum Schrank und hol eine Tüte Nudeln. Aus dem Kühlschrank neh‘m ich 3 Eier. Ich zöger kurz, dann neh‘m ich doch noch ein 4. Die sind eh so klein. Ich schneide mit der Schere die Tüte auf.
„Wie geht’s dir?“ frag ich. Zwar freundlich, aber ich glaube, er hört trotzdem den leichten Klang von Besorgnis durch.
Ich hantiere weiter mit den Nudeln, drehe über dem Topf die Tüte um und lasse die Nudeln ins Wasser fallen. Heiße Spritzer brennen auf meiner Haut. Ich weiß nicht, ob er nicht antwortet, weil er nicht weiß, was er sagen soll, weil er überlegt, wie’s ihm geht, oder weil er warten will, bis das Rascheln der Tüte aufgehört hat.
Schließlich sehe ich zu ihm rüber, er hat den Blick auf die Tischplatte gesenkt. Dann hebt er den Kopf, sieht mich an. Er seufzt.
„Es wär gelogen, wenn ich sagen würde, dass es nich anstrengend gewesen wär. Ich hab so viel erlebt…so viel, dass….
Ich bin echt  heftig müde, ich bin gestern Nacht erst wiedergekommen und hab box vorhin versucht nen bisschen zu schlafen. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, ob ich dachte, das alles so ist, wie früher, oder ob ich Angst hatte, dass alles anders sein Würde. Aber auch wenn in einem Jahr so viel passieren kann, und passiert ist, ist es doch irgendwie….zu Hause.
Ja, die Menschen haben sich zum Teil verändert, aber doch lange nicht so, dass man sie nicht wiedererkennen würde.
Es war so schön…“ Seine Stimme wird so heiser, dass sie abricht. Er räuspert sich.
„Es war so schön, meine Familie wieder zu sehen…nach so langer Zeit.“
Er guckt aus dem Fenster, als ob er gar nicht hier wär, so weit weg scheint er zu gucken…
Ich neh´m die Pfanne von der Wand, schraub das Öl auf und gieß etwas in die Pfanne. Dan rühr ich durch die Nudeln. Vorsichtig schaue ich zu ihm rüber. Ich überlege, was ich sagen soll, aber mir fällt nichts passendes ein.
„Aber es tut auch weh…“ er beginnt wieder zu erzählen, „Alles das, was man da gewonnen hat, alles was man erlebt und durchgemacht hat, und alles, wo man dabei sein durfte…Das einfach so zurück zu lassen tut weh….“ Seine stimme hat einen anderen Tonfall. Sie klingt nicht mehr auf die Art und Weise erschöpft wie vorher, jetzt klingt es seelisch  erschöpft und mitgenommen.
„Und ich weiß jetzt schon,“, setzte er an,  „dass ich nochmal nach Paraer gehen werde. Auf jeden fall“ Wie zu sich selbst nickt er. Dann sieht er zu mir auf.
„Und du? Wie geht’s dir?“
„Mir?“ Ich versuchte meine Frage überrascht klingen zu lassen –es war ja eigentlich klar, dass er das fragen würde.
„Keine Ahnung, ganz gut soweit. Weißt du… In einem Jahr,  kann so viel passieren…selbst wenn man genau da ist, wo man vorher war, und mit den gleichen Menschen zu tun hat…“
Ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll. Wie ich irgendwas sagen soll…
„Du wohnst jetz bei Julian?“  Ich weiß nicht, ob es ein Nachhaken, oder ein auf die Sprünge Helfen sein soll.
„Ja…also…irgendwie zumindest…Ich war einfach irgendwann nur noch bei ihm, und bin eigentlich nur hergekommen, wenn ich irgendwas gebraucht hab, was noch hier war, und um mich um Totte und Bierhorst zu kümmern…“ Eigentlich muss er doch jetzt fragen, ob wir also zusammen sind…Naja, mich soll’s nich stör’n.  Ich drücke mit dem Kochlöffeln ein bisschen auf verschiedenen der Nudeln rum. Müsste so ok sein. Ich dreh die Herdplatte mit der Pfanne an und verfrachte die Nudeln vom Topf mit der Schaumkelle in die Pfanne.  Dann hohl ich 2 Gläser aus dem Schrank.
„Willst du auch was trinken?“. Er nickt. Ich gieße beide Gläser mit Orangensaft voll, dann geh ich rüber zum Tisch und schieb ihm eins hin.  Ich setz mich ihm gegenüber auf ein Stuhl. Bis das Öl heiß, und die Nudeln leicht angebraten sind,  hab ich ein bisschen Zeit.
Ich nehm‘ ein Schluck Saft, dann stell ich das Glas wieder ab. Ich fange an es vorsichtig um sich selbst zu dreh’n.
Ein ganzes Jahr…
„Du hast dich nicht gemeldet…“ Meine Stimmt klingt zum Glück nicht so vorwurfsvoll, wie ich es meine. Sie ist nur noch ein flüstern, als ich sage:
„Du hast dich  e i n   g a n z e s   J a h r  nicht gemeldet!“ Ich beiße mir auf die Unterlippe. Toll.  `Nen guter Anfang. Das macht’s bestimmt besser, Maya. Echt super! Du schaffst es echt alles zu versau’n!
Er sagt eine ganze Weile gar nichts. Mir muss irgendwas einfallen, irgendwas, dass ich sagen kann.  Sowas wie ‚naja, is ja auch egal‘….Aber das bring ich nicht über meine Lippen.  Ich kann ihn nicht so anlügen. Zumindest nicht so, dass er es nicht sofort merkt…
„Es tut mir… so Leid…“ Seine Stimme ist kaum hörbar, als er die 5 Worte raunt, die ich niemals geglaubt hätte, so ….ernsthaft  und in ihrer wahren Bedeutung gemeint zu hören.
„Es….“ Ich hab keinen Plan was ich sagen soll. Keine Ahnung. Der Schmerz in seiner  Stimme…ich  wollte das nicht…
„Is okay. Eigentlich sollte es mir Leid tun….Ich…“  Keine Ahnung. Keine Ahnung was ich….
„Nein.“ Seine Stimme ist etwas lauter, aber er muss die Heiserkeit wegräuspern, bevor er wieder richtig reden kann.
„Nein. Es…was nicht fair von mir. Ich hatte Angst…Ich weiß nicht….“ Seine Stimme bricht ab. Er atmet einmal lange ein und wieder aus.
„Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte. Ich weiß nicht, ob ich das ausgehalten hätte, wenn ich dann wieder hätte loslassen müssen, bevor wir wirklich…Zeit gehabt hätten. Anderseits wollte ich etwas, das mich hier hält, etwas, an dem ich mich die letzten Tage festhalten konnte. Jemanden,  dem ich die Welt bedeuten würde, jemand, der alles dafür Tun würde, dass ich nicht gehe…
Aber als du dann….als es dann soweit war….“
Ich merke, wie eine heiße Träne über meine Wange rinnt. Meine Lippe zittert. Was er sagt tut so weh. Aber warum?! Warum tut es so weh?!
„Es tat mir selbst so unendlich weh, dich so verletzt zu haben. Dieser….dieser Schmerz in deinen Augen…“ Wieder versagt ihm die Stimme. Er hält den Blick die ganze Zeit auf sein unangerührtes Glas gesenkt. Weint er?
„Es tu es immer noch…“
Ich bin mir nicht sicher, ob er oder ich das gesagt habe. Als ich meine Lippen öffne merke ich erst, dass ich sie fest zusammengepresst hatte. Nein. Ich hab das nicht gesagt. Wenn, dann hat er das gesagt…Hat er es gesagt?...
Das Öl knistert in der Pfanne. Ich steh auf. Ich hoffe er merkt nicht, wie ich den Arm hebe, um die Tränen weg zu wischen.

Ich schaufel mit einem Kochlöffel die Nudeln in der Pfanne hin und her, dann schlag ich nach einander die Eier am Pfannenrand auf und lass sie zu den Nudeln fließen. Das klebrige Eiweiß an meinen Händen zieht Fäden, als ich die halben Eierschalen in einander stecke und die Schranktür unter der Spüle öffne, um sie in den Müll falle zu lassen. Ich richte mich wieder auf.
„Es tut mir leid, Martin…
Ich war….ich war so verliebt in dich. Ich dachte….Ich dachte, ich könnte dir tatsächlich etwas wert sein…Also mehr, als nur irgendeine Freundin. Der…Dieser Kuss damals…Es war wie etwas, auf das ich so lange gewartet , was man mir dann gegeben hab und dann hat man es mir gleich wieder aus der Hand gerissen, bevor ich es festhalten konnte.
Es…tat so weh. Das alles. …Aber es ist okay. Es ist okay so. Ja, es hat weh getan –irre weh getan. Aber auch wenn man es oft anfangs nicht glaubt, man kann ein Herz heilen. Es braucht ein bisschen Zeit, Mut, Kraft und Freunde. Dann geht das. Und ich hatte all das irgendwo her….“
Ich rühre die Nudeln und das Ei zusammen. Ich hau noch ein bisschen Salz mit rein und gieße etwas Öl nach.
„Weißt du Maya….“ Seine Stimme ist wieder leiser, und etwas liegt darin, das ich nicht wirklich deuten kann…ist das….ist es Schmerz?
„Ich hab….der Kuss damals…vielleicht war er leichtfertig und unüberlegt. Aber ich würde kein Mädchen küssen, wenn ich es nicht liebe.“

Es fühlt sich an, als würde jemand seine Faust in meinen Magen rammen. …..
…Aber ich würde kein Mädchen küssen, wenn ich es nicht liebe…
Aber…Ich hab schon wieder keine Ahnung, was ich sagen soll. Was ich denken soll…
„Es tut mir Leid…“ flüster ich. „ich…“ weiß schon wieder nicht, was ich sagen soll….
„Nein. Maya, mir tut es leid. Ich hab dir damals so weh getan. Die Person, die ich am meisten vermisst hab, bei der es am meisten weh getan hat, sie zurück zu lassen…Das warst du…“
„Nein.“ Ich klinge kalt, emotionslos und irgendwie abweisend. Aber ich weiß nicht, ob ich es so meine. Ich weiß überhaupt nichts mehr.
„Nein. War ich nicht. Ganz sicher nicht.“
„Doch“, flüstert er, sodass ich es über das Knistern des Öls in der Pfanne fast nicht höre.
„Doch, bist du“….bist?...
„Und warum hast du dich dann ein verdammtes Jahr nicht gemeldet?!“ ruf ich.
„Ein Jahr lang, fast ein ganzes Jahr hat es gedauert, bis ich es fertig gebracht hab, da so weit drüber weg zu kommen, dass ich mit meinem Leben wieder klar kam. Wäre Julian nicht gewesen, hätt ich keine Ahnung ,wo ich jetz wäre. DU sagst, ich wäre die wichtigste Person in dem Moment für dich gewesen?! Dann tun mir deine Familie und deine andern Freunde mega leid. Allzu wichtig können sie dir dann ja nicht sein!“
Ich hatte nicht gewollt, dass das passiert. Ich wollte, dass es irgendwie…vorbei war. Richtig vorbei. Etwas, über das wir beide jetzt lachen könnten…Aber das kann ich nicht. Genauso wenig wie er.
„Du bist es immer noch“ flüstert er. Ich brauche einen Moment, bis ich es begreife.
„Du bist immer noch der wichtigste Mensch in meinem Leben…“

„NEIN! Bin ich nicht! Verdammt! Ich bin nicht der wichtigste Mensch in deinem Leben! Und ich sollte es auch nicht sein. Ich will es gar nicht sein! Okay?! Du warst ein Jahr lang weg, ein Jahr! Ein Jahr, in dem ich dich geliebt hab, dich vermisst hab und wegen dir geweint habe. Alle andern waren für mich da! Nur du, du hast dich nicht einmal gemeldet! Nicht ein einziges Mal! Ein Jahr lang hab ich dich vermisst, so vermisst, dass ich ein Jahr lang nicht gemerkt habe, wie ich eigentlich längst jemand anderen geliebt habe!“
Fuck. Ich hätte irgendwas anderes sagen sollen. Irgendwas. Aber irgendetwas anderes.
Ich trau mich nicht, zu ihm rüber zu sehen. Stattdessen stocher‘ in den halb angebrannten Nudeln mit dem halbangebrannten Ei rum. Ich drücke mit der Holzpalette so fest, als ich das Zeug vom Boden kratze, dass Ei und Nudeln aus der Pfanne fallen.
Was soll ich denn jetzt bitte machen? Ich weiß nicht, was ich machen soll, und was er macht beziehungsweise machen wird. Vielleicht wäre es am besten, er geht. Ich muss da drüber erst mal nachdenken.
„Vielleicht…isses besser, wir reden da später nochmal drüber. Wir sollten da beide erst mal `ne Nacht drüber schlafen…“
Ich bring es nicht über mich, mich für das, was ich gesagt hab mich zu entschuldigen. Weil es mir nicht wirklich Leid tut. Ich will ihn zwar irgendwie nicht verletzen, aber andererseits hab ich Recht. Ob ich will oder nicht. Warum hat er sich denn nicht gemeldet, wenn er mich so geliebt hat, während der ganzen Zeit?
Martin…geh!
Langsam, ganz langsam -und es kam mir noch langsamer vor- stand er auf. Er musste an mir vorbei, wenn er ging. Ich hoffe, er will mich zum Abschied umarmen, oder mir einen Kuss geben. Ich würde keine Berührung von ihm ertragen. Und irgendwie tut mir das auch noch tierisch leid….
Er umarmt mich nicht. Er gibt mir keine Kuss. Einzig und allein seine Schulter streift ganz leicht meine, als er an mir vorbei nach draußen ging.
Ich stell die Platte am Herd ab, schieb die Pfanne zur Seite und lass alles so stehn.
Tränen laufen über meine Wangen, als ich runter in mein Zimmer geh. Es war alles so…gut. So normal wie vorher. Bevor alles passiert ist. Ich hatte echt für wenige Minuten geglaubt, das alles perfekt wär. Aber stattdessen ist alles scheiße. Ich drücke die Klinke runter und schiebe die Tür zu meinem Zimmer mit dem Fuß auf. Totte und Bierhorst gucken aus dem halben, ausgehöhlten Ast in ihrem Käfig. Wahrscheinlich hoffen sie auf essen. Sie sind so klein…Sie haben keine Ahnung davon, was gerade, wenige Meter über ihren kleinen Köpfen passiert ist. Ich durchquere mit wenigen Schritten mein Zimmer und öffne die Tür von dem Rattenkäfig. Ich lege meine Hand rein und Totte läuft meinen Arm hoch auf meine Schulter. Bierhorst kommt etwas zögerlicher hinterher. Er klettert auf die andere Schulter. Die kleinen Krallen bohren sich durch sie Sachen in meine Haut. Ihre Nasen schnuppern an meinem Gesicht. Sie zaubern ein trauriges Lächeln auf mein Gesicht.
„Na kommt“ murmel ich leise, schließe den Käfig und nehme ihn oben am Griff. Ich zieh mit der andern Hand mein Handy aus der Tasche und wähl Julians nummer.
Er nimmt nach dem 3. Klingeln ab.
„Ja?“
„ich wär dann soweit.“ Ich weiß nich genau wie, aber meine Stimme klingt relativ normal. Zum Glück. Ich wird ihm das nachher erzählen.
„Okay. Bin in 5 Minuten da“
Knack.
„Okay. Hast du gehört Totte? Wir haben noch 5 Minuten…“
Ich lasse den Griff des Käfigs aus meine Hand gleiten.