Kurzgeschichten-Wettbewerb :)

Probleme ohne Ecken


Heute ist es also so weit, stöhnend richte ich mich auf, ein Blick auf die Uhr, es ist drei Uhr mittags. Mit müden Augen blicke ich mich in meinem Zimmer um, mein Anzug hängt über dem alten und versifften Schreibtischstuhle. Ich hatte meine Mam extra gebeten, mich einen günstigeren Anzug nehmen zu lassen, ich würde so auch genug Geld verbrauchen, doch ihr Blick ließ mich weich werden. Man es muss wirklich beschissen sein, ein behindertes Kind zu haben.  Immer noch mit schlechter Sicht taste ich meinen Schreibtisch ab, meine Hand umfasst die Tablettenschachtel und mühselig puhle ich die drei Tabletten aus dem Schieber und spüle sie mit etwas Wasser herunter. Ein klopfen an der Tür, ich blicke auf die Uhr drei Uhr fünfzehn „Pünktlich wie immer Mam“ murmle ich und sie öffnet die Tür „Guten Morgen Martin!“ Ihr Lächeln versucht die vielen Sorgen und schlaflosen Nächte zu überspielen, mich kann sie nicht hinter jenes Licht führen, welches sie jedem vor spielt. „Es ist dein großer Tag“ trällert sie während sie mir vom Bett in den Rollstuhl hilft „Oh ja Mam, ich werde richtig das Tanzbein schwingen“ gifte ich sie an, ich habe wirklich keine gute Laune! Ihr Blick ist gekränkt, mit einem Lächeln entschuldige ich mich bei ihr „Ach das war nur ein Spaß, ich wird die Räder rollen lassen `they see me rolling‘ und so“ ein sarkastisches Grinsen liegt auf meinem Gesicht und sie verdreht die Augen „Geh dich waschen, ich mach dir was zu essen“ Ohne etwas zu sagen rolle ich, nein viel eher mein Rollstuhl mit mir als Passagier, an ihr vorbei  in das Bad. Es ist alles für mich eingerichtet, ich kann sogar alleine pissen gehen! Wie immer brauche ich 10 Minuten im Bad, ein schrecklich schön routiniertes Leben.  Ich öffne die Tür des Bades und manövriere meinen Rollstuhl, welchen ich liebevoll Legs getauft habe, in die Küche. „Du musst dich beeilen, wir müssen dich fertig machen und du weißt ja, der Verkehr…“ Nun verdrehe ich die Augen und rolle an den extra angefertigten Küchentisch, vor mir steht mein Frühstück, dieselben Frühstücksflocken wie jeden Tag. Unmotiviert löffele ich meine Schale leer „Wenn wir mal annehmen, ich hätte eine höchst ansteckende Krankheit, müsste ich dann zu dieser hoch verabscheuungswürdigen Zusammenscharrung von Menschen?“   murmle ich, ohne einen Funken Hoffnung daran zu verschwenden „Martin, es reicht, du wirst einen schönen Tag haben. Sei froh das du die Möglichkeit hast“ Die Wut steht förmlich in der Luft „Dein Vater holt dich in einer Stunde ab“. Aufgebracht stoße ich mich vom Tisch ab und lenke Legs in mein Zimmer und knalle die Tür zu, wie schwer kann es schon sein sich einen Anzug  anzuziehen? Ich reiße den Anzug vom stinkendem Schreibtischstuhl und versuche mich aus meiner Hose zu zwängen, doch ich bekomme sie nicht über meine Beine „Ach Scheiße“ brülle ich als ich merke wie mir die Tränen über mein Gesicht laufen. Meine Tür wird aufgerissen, meine Mam sieht mich mit Tränen in den Augen an „Was ist los Martin?“ ihre Stimme ist brüchig „ Was los ist Mam? Ich bin ein verdammter KRÜPPEL! Ich kann mich nicht einmal alleine anziehen, okay?“ mein anfängliches brüllen wird zu einem bedauernswerten Schluchzen. Ich merke nur wie sie versucht mich zu umarmen, was Legs ziemlich beschwert. Ich schließe die Augen und murmle ein leises Danke, als sie mir endlich hilft den Anzug anzuziehen. Meine Mam beugt sich herunter um mir die Krawatte zu binden, da ertönt ein Hupen, ich schaue auf die Uhr fünf Uhr dreißig , pünktlich wie immer. Ich nicke meiner Mam zu und binde mir die Krawatte selbst, während sie zur Tür eilt und meinem Vater die Tür öffnet. Kurz betrachte ich mich im Spiegel  bevor ich mich an den Rädern meines Rollstuhles abstoße und meinen Dad an der Tür zu begrüßen „Los Champ, steig ein“ meint er lächelnd und schiebt mich zum Van.

Venetia fühlte sich, gelinde gesagt, verdammt wohl. Ihr Kleid saß perfekt an ihrem wohlgeformten Körper und schwang genau wie ihre heute perfekt sitzenden Locken im Takt der Musik mit. Imü Licht der Tanzbeleuchtung schimmerte ihr violettes Kleid berauschend. Sie tanzte allein. Sie wurde beobachtet. Vielleicht weil sie trotz ihrer High Heels sicher um ihre Schulkameraden herumtänzelte.
Dieser Abschlussball, IHR Abschlussball war ein voller Erfolg!
Sie warf ihre brünetten Locken zurück als die Musik wechselte. Diesmal langsamer. Der Takt war momentan nicht der richtige für ihren rhythmusgetragenen Tanzstil. Sie verschwand aus der Aula. Venetia eilte ins Bad und sah in den Spiegel. Sie atmete schon etwas schwerer, doch das störte nicht. Mit einem Papiertuch tupfte sie sich den Schweiß von der Stirn, doch ihr Make-Up war noch genau so wie am Anfang des Abends. Sie trat ein paar Schritte zurück. *Venven, du siehst geil aus* dachte sie sich. Sie hatte zu Anfang Sorgen gehabt, dass das Kleid nicht mehr sitzen würde. Dass sie nicht gut laufen könnte. Dass alles schief geht.
Aber es ist perfekt. Sie schritt zurück in die Aula und stieß fast mit Matt zusammen „Matt!“, rief Venetia erfreut aus. Ihr Freund sah sie an und lächelte „Mir bleibt jedes Mal der Atem stehen wenn ich dich so sehe“, sagte er leise. Venetia begann zu strahlen „Ja, ich muss leider sagen, dass ich heute irgendwie gut aussehe“ Sie ging etwas auf sie zu „Danke dir“ Matt schüttelte den Kopf „Nein, Venven. Du siehst heute irgendwie nicht gut aus.“ Er ging weg.
Venetia blieb wie angewurzelt stehen. Die gesamte Masse drehte sich um. Die Musik änderte sich, alle Paare sahen zu ihr und riefen „VENETIA! DU BIST HÄSSLICH HEUTE ABEND!“ Venetia sah an sich herab. Ihr Kleid wirkte auf einmal nur noch grau und ihre Schuhe standen ihr nicht mehr. Sie begann zu weinen und die Masse zu lachen.

Venetia schreckte aus dem Schlaf auf. Ein schwerer Arm fiel von ihr ab. „Hey...“, murrte Matt neben ihr im Bett. „Tut mir leid. Schlaf wieder ein“, flüsterte sie. „Nein. Hast du schlecht geträumt?“ „Ja...“ Sie blickte auf das Kleid, welches auf dem Bügel am Schrank hing. „Ich habe zugenommen. Es wird nicht passen und ich werde hässlich sein.“ Matt legte eine Hand auf ihren Bauch, dann gab er ihr einen Kuss über den Bauchnabel. „Nein. Du wirst super aussehen.“ „Die Schuhe“, murmelte sie. „Du kannst darin laufen. Mach dir keine Gedanken.“ Langsam legte Venetia wieder den Kopf auf das Kissen. Matt zog sie etwas zu sich ran und legte die Arme wieder um sie „Keine Angst. Schlaf wieder ein. Du bist wunderschön und wirst morgen alle ausstechen.“ Sie schloss die Augen. Kurz bevor sie mit einem Lächeln auf den Lippen einschlief, flüsterte sie „Danke dir...“